Integriertes Molekül- und Prozessdesign basierend auf prädiktiven Vorhersagemethoden
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Für eine nachhaltige Mobilität ist eine Reduktion der CO2-Emissionen im Verkehrssektor unabdingbar. Eine vielversprechende Technologie hierfür sind Kraftstoffe, die mithilfe erneuerbarer Energien, Biomasse und CO2 hergestellt werden können, weshalb im Rahmen des Excellenzclusters Fuel Science Center (FSC) vielversprechende Kraftstoffkandidaten erforscht werden. Innerhalb des Excellenzclusters beteiligt sich der LTT in diesem Teilprojekt an der Entwicklung systematischer Methoden zur Erarbeitung nachhaltiger Herstellungsprozesse von erneuerbaren Kraftstoffen. Diese Methoden können allerdings auch in anderen Bereichen als der Kraftstoffentwicklung Anwendung finden. Das Ziel ist es, eine Methode zu entwickeln, die in der Lage ist, unter Berücksichtigung von vorgegebenen Zielkriterien, Moleküle für beliebige Anwendungen maßzuschneidern.
In unserem Projekt integrieren wir Computer gestütztes Moleküldesign (CAMD - Computer-Aided Molecular Design) in Methoden für chemisches Prozessdesign und ermöglichen so die simultane Optimierung von Molekülen und Prozessen. Der daraus entstehende Ansatz ist als Computer gestütztes Molekül- und Prozessdesign (CAMPD – Computer-Aided Molecular and Process Design) bekannt. Im CAMPD werden thermodynamische Stoffmodelle und Prozessmodelle genutzt, um molekulare Deskriptoren und Prozessgüte in Verbindung zu setzen. Das ermöglicht die systematische Optimierung der molekularen Struktur mit Hinblick auf die Güte des Prozesses.
Die bestehende CAMPD-Methode nutzt einen genetischen Algorithmus, um die molekulare Struktur zu optimieren. Der genetische Algorithmus nutzt dabei für die Optimierung die Ergebnisse der Prozessmodelle, welche evaluieren wie gut sich ein Molekül für den betrachteten Prozess eignet. Die Prozessmodelle benötigen molekulare Deskriptoren als Eingangsgrößen, welche mittels quantenmechanischer Methoden vorhergesagt werden.
In verschiedenen Fallstudien erweitern wir den Anwendungsbereich der CAMPD-Methode kontinuierlich. Die ersten Fallstudien der CAMD-Methode konzentrierten sich lediglich auf das Design von Extraktionslösungsmitteln für die flüssig-flüssig Extraktion (1, 2).
Aufgrund der vielversprechenden Ergebnisse der Methode in den ersten Fallstudien haben wir den Anwendungsbereich auf das Design von Lösungsmitteln, die eine Reaktion unterstützen, erweitert (3,4). In diesem Fall wird neben Gleichgewichtsgrößen des betrachteten Systems auch die Reaktionskinetik relevant. Die Lösungsmittel nehmen zwar nicht aktiv an der Reaktion teil, allerdings beeinflussen ihre molekularen Eigenschaften das Reaktionsgleichgewicht und ermöglichen es dem Algorithmus somit die Optimierung zu steuern.
In einer vor kurzem publizierten Studie konnten wir die Anwendbarkeit der CAMPD-Methode um das automatisierte Design von Katalysatoren erweitern (6). Da Katalysatoren eine Schlüsselkomponente für viele chemische Prozesse sind und diese oft erst ermöglichen, ist die CAMPD-Methode eine sehr gefragte Alternative zu teuren und zeitaufwändigen Experimenten. Die Anwendbarkeit der CAMPD-Methode konnte erfolgreich in einer Fallstudie zur Urethanspaltungs-Reaktion dargestellt werden.
Desweiteren konnten wir zeigen, dass sich auch zusätzliche Modelle und Zielgrößen in die CAMPD-Methode integrieren lassen. In vorangegangenen Fallstudien zu Lösungsmitteln lag der Fokus der Optimierung auf thermodynamischen Größen. Vor allem im Rahmen der sich anbahnenden Klimakatastrophe und einem wachsenden Bewusstsein für Umweltschutz ist eine ökologische Bewertung von Lösungsmitteln unabdingbar. Um eine ganzheitliche Betrachtung der Moleküle zu ermöglichen haben wir Life Cycle Assessment (LCA) in Kooperation mit der Energiesystemtechnik ESTGruppe am LTT in die CAMPD-Methode integriert (5). Das Ziel ist eine Bewertung des Umwelteinflusses eines potenziellen Lösungsmittels vom Rohmaterial bis zur Entsorgung (Cradle-to-Grave). Ein neuronales Netz wird genutzt, um den Lösungsmitteleinfluss vom Rohmaterial bis zur Nutzung anhand von molekularen Deskriptoren zu bewerten und Werte aus den Prozessmodellen ermöglichen eine Abschätzung des Umwelteinflusses von der Nutzung bis zur Entsorgung. Dieser Ansatz wurde erfolgreich in einer Fallstudie zum Lösungsmitteldesign für einen hybriden Extraktions- Destillationsprozess demonstriert. Wir konnten zeigen, dass die Einbindung von LCA die Güte der von der CAMPD Methode vorgeschlagenen Lösungsmittelkandidaten weiter verbessert.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dieses Projekt eine Methode zum computergestützten automatisierten Design von Molekülen und Prozessen bereitstellt. Die Vorhersage von Stoffgrößen erfolgt voll prädiktiv mithilfe von quantenmechanischen Methoden. Die Anwendbarkeit der Methode wurde in mehreren Fallstudien gezeigt. Unsere Ergebnisse zeigen die gegenseitige Abhängigkeit von optimalen Prozessen und Lösungsmitteln. Nur ein Lösungsmittel, das unter Berücksichtigung des jeweiligen Prozesses ausgewählt wurde, kann die Güte des Prozesses optimieren.
In vorangegangenen Studien wurde vor allem COSMO-RS als Stoffmodell genutzt. Um unseren Ansatz zu erweitern, arbeiten wir momentan daran, neue Stoffmodelle und Vorhersagemethoden für molekulare Deskriptoren und Prozessgrößen zu entwickeln und in die CAMPD-Methode zu integrieren. Ein Stoffmodell zur Vorhersage molekularer Deskriptoren ist die Perturbed Chain Polar – Statistical Associating Fluid Theory (PCP-SAFT) Zustandsgleichung. PCP-SAFT basiert auf fünf molekülspezifischen Parametern, die in der Regel experimentell bestimmt werden. Für unseren Anwendungsfall ist es allerdings notwendig diese Zustandsgleichung vollständig vorhersagen zu können.
Dies wird uns durch die sogenannte Segment-based Equation of state Parameter Prediction (SEPP) Methode ermöglicht, welche die PCP-SAFT Parameter für beliebige Moleküle vorhersagen kann. SEPP erweitert somit die Anwendbarkeit der PCP-SAFT Zustandsgleichung auf molekulares Design ohne dabei auf Gruppenbeitragsmethoden angewiesen zu sein. Die Nutzung der PCP-SAFT Zustandsgleichung ermöglicht die Vorhersage weiterer Stoffgrößen, wie z.B. Transportgrößen oder Oberflächenspannung. Mit diesen Stoffgrößen können wir zusätzliche Prozessmodelle in die CAMPD-Methode einbinden und diese somit weiter verbessern.
Publikationen
- Scheffczyk J., Fleitmann L., Schwarz A., Lampe M., Bardow A., Leonhard K. (2917). COSMO-CAMD: A framework for optimization-based computer-aided molecular design using COSMO-RS
- Scheffczyk J., Schäfer P., Fleitmann L., Thien J., Redepenning C., Leonhard K., Marquardt W., Bardow A. (2018). COSMO-CAMPD: a framework for integrated design of molecules and processes based on COSMO-RS. Mol. Syst. Des. Eng. , 2018, 3, 645-657
- Gertig, C., Kröger, L., Fleitmann, L., Scheffczyk, J., Bardow, A., Leonhard, K. (2019). Rx-COSMO-CAMD: Computer-Aided Molecular Design of Reaction Solvents Based on Predictive Kinetics from Quantum Chemistry
- Gertig, C., Fleitmann, L., Schilling, J., Leonhard, K., Bardow, A. (2020). Rx-COSMO-CAMPD: Integrated Computer-Aided Design of Solvents and Reactive Chemical Processes based on Quantum Chemistry
- Fleitmann, L., Kleinekorte, J., Leonhard, K., Bardow, A. (2021) COSMO-susCAMPD: Sustainable solvents from combining computer-aided molecular and process design with predictive life cycle assessment, Chemical Engineering Science, 245, 116863
- Gertig, C., Leonhard, K., Hemprich C., Hense J., Bardow, A. (2021). CAT-COSMO-CAMPD: Integrated in silico design of catalysts and processes based on quantum chemistry, Computers & Chemical Engineering, 153, 107438
- Gertig, C., Leonhard, K., Bardow, A. (2020). Computer-aided molecular and processes design based on quantum chemistry: current status and future prospects
- Polte L., Raßpe-Lange L., Latz F., Jupke A., Leonhard K.; COSMO‐CAMPED – Solvent Design for an Extraction Distillation Considering Molecular, Process, Equipment, and Economic Optimization (2023) Chemie Ingenieur Technik, 95(3), 416-426.